Vorwort

Gesellenleben    Wanderleben von ano dazumal (1902 – 1907)

Meine Erlebnisse und damaligen Bräuche beim "Umschauen" wie man es damals nannte, statt Arbeit suchen.

Es ist nun schon 69 Jahre her, dass ich meine Gesellenprüfung als Schlosser absolvierte. Damals war es Brauch, dass sich ein Geselle auf die Wanderschaft begab, genannt Walz oder Tippelei. Mit wenig Ausnahmen legte man alle Strecken auf Schuster's Rappen zurück. Daher auch der Name Tippelei. Es wurde nicht etwa nur die Schweiz durchwalzt, nein, vielmehr erstreckten sich diese Wanderungen über Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Holland und Österreich.

Andere Tippelbrüder wandten sich dem Süden zu und kamen so bis nach Jerusalem. Und es war nicht etwa so, dass wir Walzbrüder als minderwertig betrachtet wurden. Nein, im Gegenteil, man begegnete uns meisten, mit Anstand und Achtung. In Deutschland war es sogar ein ungeschriebenes Gesetz, dass jeder Geselle mit einem handwerklichen Beruf nach der, Lehrabschlussprüfung für eine bestimmte Zeit ins Ausland "walzte". Erst die Ausweise und Zeugnisse von dieser Auslandtippelei stempelten ihn im eigenen Lande zum wirklichen Gesellen. Auch hatte er nun, mit diesen Ausweisen bewaffnet, die Möglichkeit, einem Betrieb als Obergeselle vorzustehen. Es gab sogar sehr viele Meister, die prinzipiell keinen Arbeiter einstellten, der nicht auf der Walz gewesen ist. Selbstverständlich musste man auf diesen Wanderungen den Heimatschein mit sich führen, zur eventuellen Einsichtnahme von Polizisten.

Ich bezeichne hier hauptsächlich nur den Schlosserberuf, welchen ich hatte. Fast ein jeder Beruf hatte seine eigenen Kennzeichen. Beim Umschauen als Schlosser sagte man damals in der Schweiz und auch im Ausland: "Guten Tag! ein fremder Schlosser spricht um Arbeit." Der Meister fragte darauf: "Sind Sie Schlosser?" Die Antwort lautete nicht etwa "ja", sondern "ein Stück weit". Hätte man nämlich mit "ja" geantwortet, wäre man als Prahlhans verpöhnt worden, und die Antwort des Meisters hätte gelautet: "Das sind Sie nicht, denn kein Schlosser kann alles". Eine Einstellung wäre in diesem Fall nicht erfolgt. Auf die bescheidene Antwort aber, "ein Stück weit" wurde man meistens eingestellt, vorausgesetzt, dass gerade genug Arbeit vorhanden war. Im andern Fall bekam man meistens ein kleines Geldgeschenk, so ca. 20 Rp.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schweiz

Einzeln "Walzende" waren eine Seltenheit. So tat auch ich mich mit einem gleichgesinnten Tippelbruder zusammen. Dieser war Mechaniker. Wir zogen am 30. April 1902 los. Auf dem Rücken hatten wir den gepackten "Berliner", wie man damals den Rucksack nannte. Dieser enthielt unsre ganzen, Habseligkeiten. Heute kann man sich wohl kaum mehr vorstellen, dass man ein bis zwei Jahre in die Fremde zieht, nur mit einem Rucksack bewaffnet. Unsere ganze Ausrüstung bestand aus einem Hemd am Laib und einem im Berliner, einem Paar Socken an den Füssen und einem im Rucksack, einem "Fatzanettli“ (Nastuch) im Sack und etwa zwei, drei im Rucksack. Mehr an Wäsche wäre als unnötiger Ballast angesehen worden. Dazu wurde noch ein kleiner, haltbarer Essvorrat mitgenommen, den man nur im äussersten Notfall verzehrte. Es war nämlich damals Brauch, dass man, wenn der Magen knurrte, "fechten" ging, das heisst betteln. Daher auch der Name "Fechtbrüder".

Das Fechten war zwar damals verboten und von der Polizei bestraft, im Falle, dass man beim Betteln erwischt wurde. Es war aber trotzdem in ganz Europa Brauch. Es wäre auch niemandem eingefallen, einen Fechtbruder bei der Polizei anzuzeigen. Die Parole hiess damals allgemein: "Fechte ruhig, doch lass dich nicht erwischen". Zum fechten suchten wir uns meistens Bauernhöfe aus, denn da bekamen wir fast immer eine warme Suppe, oft sogar mit einem Stück Fleisch drin. Wir sagten da: "Grüss Gott, ein fremder Handwerksbursch bittet um eine Unterstützung". Alle Leute waren natürlich nicht freigebig. Es kam auch etwa vor, dass man uns mit der Polizei drohte. Aber es blieb immer nur bei der Drohung. Um andere Fechtbrüder vor unliebsamen Überraschungen zu schützen, oder sie auf die Freigebigkeit der Hausbewohner aufmerksam zu machen, hatten wir unter uns eine geheime Zeichensprache, welche wir meistens an einem Türpfosten oder am Dachkennel hinter liessen. so hiess zum Beispiel dieses Zeichen     "Achtung Polizei". Oder diese         Suppe. War im gezeichneten Teller noch etwas drin, so hiess dies Suppe mit Fleisch. Ein grosses "G" bedeutete Geldspende.

Mein Freund und ich waren Mitglieder des Kath. Gesellenvereins und daher auch im Besitze eines Gesellen-Wanderbüchleins. Dieses berechtigte uns, bei jedem Gesellenverein um das Gesellengeschenk zu bitten. Langten wir vor dem Mittagessen in einem Gesellenhaus an, wurde uns ein Mittagessen spendiert. Kamen wir erst am Abend, so wurde uns ein Nachtessen, freie Schlafstatt und das Morgenessen, bestehend aus Milch und Brot geboten. Daher richteten wir es nach Möglichkeit, dass wir auf den Abend in einem Gesellenhaus eintrafen, um gratis schlafen und essen zu können.

Zu jener Zeit waren natürlich immer  sehr viele Walzbrüder unterwegs. So konnte man in grösseren Ortschaften oder Städten 10 bis 20 Kunden (Walzbrüder) antreffen. Gegenseitiger Gruss unter Walz‑ und Fechtbrüdern war meistens: "Servus Kunde", oder auch "Kenn Kund, kenn". Gegengruss war auch "Servus" oder "Kennt“. Hier wurden dann gegenseitige Erfahrungen ausgetauscht. Man fragte sich etwa: "Was treibst Du? oder was hast Du für Metier? Auch wurde die unglaublichsten Erlebnisse zum Besten gegeben. Es wurden meistens sehr gemütliche Abende, die wir, da unter uns Tippelbrüdern verlebten.

Am 1. Mai 1902 trafen wir in St. Gallen ein. Schon damals wurde hier der 1. Mai von den Sozialdemokraten gefeiert. In ziemlich vielen Werkstätten wurde daher nicht gearbeitet. wir begaben uns ins Gesellenhaus, um uns für das Nachtessen und Schlaflager anzumelden. Kaum sassen wir an einem Tisch gesellte sich ein Mann zu uns, und fragte ob wir auf der Walz seien. Auf unsere Bejahung spendierte er uns beiden ein grosses Bier und gab jedem noch 20 Rappen, was damals viel war. Der edle Spender war zwar kein Sozialdemokrat wie er uns sagte aber er meinte, da die Hälfte seiner Arbeiter an der Maifeier seil, habe er der andern Hälfte eben auch frei gegeben.

Am andern Tag gingen wir auf Arbeitschau. Ich bekam auch gleich Arbeit bei einem Meister in St. Fiden. Wir waren hier nur unsrer zwei, nämlich der Meister selber und ich. Mein Wandergeselle konnte in St. Gallen keine Arbeit finden. Daher zog er weiter nach Arbon. Hier fand er Beschäftigung bei der Firma Saurer. Er blieb zwar nicht lange dort, da ihm in Rorschach eine Stelle als Hausmeister geboten wurde. Der Tausch muss ihm aber nicht zugesagt haben, denn kurze Zeit nachher trat er wieder bei der Firma Saurer ein, wo er bis zu seiner Pensionierung blieb. Trotzdem er mich als Wandergeselle verlassen hat, standen wir bis ins hohe Alter in regem Briefwechsel miteinander.

Ich blieb ca. 9 Monate in St. Fiden. Von hier musste ich nach Hause zurückkehren, da ich noch meine Militärdienstzeit zu absolvieren hatte. Mein Meister hätte mich nach dem Dienst gerne wieder in seine Dienste genommen, aber ich wollte weiter ziehen. Eine Zeitlang war ich noch in Stein tätig. Diese Stelle wurde mir von einem Walzkollegen empfohlen. Hier fand ich auch sehr gute Aufnahme. Ich verlangte nebst Kost und Logis 18 Franken Wochenlohn, was mir auch sofort zugesagt wurde. Auch die Arbeit gefiel mir hier gut. Sie war sehr abwechslungsreich. Hier konnte ich noch manches dazu lernen, was für mich von grossem Vorteil war. Auch die Kinder meiner Meisterleute waren sehr nett zu mir. Es waren drei Buben und zwei Mädchen wovon das älteste ca. 7 Jahre alt war. Sie merkten wahrscheinlich, dass ich ein Kinderfreund war, und trieben gerne ihren Spass mit mir. Öfters musste ich ihnen auch aus der Patsche helfen, wenn sie etwa einen dummen Streich angestellt hatten.

Für uns Gesellen war es natürlich Ehrensache jeden Sonntag die hl. Messe zu besuchen. In Stein selber hatte es keine Kath. Kirche. Wir mussten daher nach Haseln zum Gottesdienst, was ein Fussmarsch von einer guten halben Stunde war. Der Weg führte durch Felder und Wiesen.  Ein kleiner Steg führte über die Sitter. Im Sommer war es immer ein schöner Spaziergang. Im Winter aber, war der Weg oft recht mühsam. So ist es mir dann auch einmal passiert, dass ich bei hohem Schnee zur Kirche watete. An diesem Morgen war ich der erste der sich auf den Weg begab. Von einer Spur war natürlich noch nichts vorhanden. Oft sank ich bis zu den Knien im tiefen Schnee ein. So kam ich dann halt einige Minuten zu spät zur Messe, was aber den hochwürdigen Herrn Pfarrer nicht abhielt, mich gebührend zu begrüssen, in dem er von der Kanzel rief (er war gerade an der Predigt). " Grüss Gott Geselle Konrad, sehr lobenswert, dass Du trotz Sturm- und Schneegestöber den weiten Weg von Stein bis Haslen gewagt hast, um in die Kirche zu kommen". Ja, Lob wem Lob gebührt, an jenem Sonntag war ich nämlich dir einzige Kirchgänger aus Stein.

Bei Meister Kern in Stein arbeitete ich ca. 2 1/2 Jahre. Nun zog es mich aber wieder weiter. Ich entschloss mich nun ins Ausland zu gehen, wollte aber vorher noch ein paar Franken Sackgeld verdienen und gedachte dies in Basel zu tun. Hier musste ich auch nicht lange umschauen. Ich bekam sofort Arbeit in einer Bauschlosserei (Galoppschlosserei) genannt. An einem Abend traf ich im Gesellenhaus einen Wanderburschen, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Als ich ihn aber trotzdem mit seinem Familiennamen ansprach war er sehr erstaunt. Ja meinte er, wieso kennst Du meinen Namen? Ich kann mich nicht erinnern dich jemals gesehen zu haben. Ich auch nicht meinte ich trocken, aber ich habe daheim in Einsiedeln einen Freund der Eduard Neff heisst, und dem gleichst Du eben wie sich nur zwei Brüder gleichen können.

Nun gab es allerlei zu fragen, denn er war wirklich der Bruder meines Freundes Neff. Mit Vornamen hiess dieser Albert. Von Beruf war er Drechsler. Er befand sich auch auf der Walz. Auf seinem Beruf war es damals schon schwierig, Arbeit zu finden, denn mit dem neuen Stil, wo alles sehr schlank sein sollte, war die Drechslerarbeit sehr zurückgegangen. Daher beschloss er, sich nach Deutschland zu wenden. Er versuchte, mich zu überzeugen, dass das auch für mich das Beste wäre, was ihm dann nach einiger Mühe auch gelang. So wurden aus den vorgesehenen paar Wochen in Basel eben nur ein paar Tage. Dafür aber hatte ich nun wieder einen Tippelbruder, was auch viel angenehmer war, als allein zu tippeln. Meinem Meister machte ich klar, dass ich meines "Neffen" Wunsch erfüllen möchte und mit ihm weiter ziehen. Er liess mich dann auch ziehen.

 

 

 

 

 

 

 

Süddeutschland

Also zogen wir los, mein neuer Tippelkollege Albert Nett und ich. Von Basel fuhren wir mit dem Tram über die Grenze, wo wir auch nach verzollbarer Ware durchsucht wurden. Zwar geschah dies nur sehr oberflächlich. Mit ein paar Handgriffen wurden wir abgetastet und konnten dann gleich wieder weiter ziehen. Wir brauchten nicht einmal unseren Berliner zu öffnen. Nach was sie bei uns hätten suchen sollen, ist mir heute noch ein Rätsel. Bei der ersten Station auf deutschem Boden stiegen wir aus und gingen zu Fuss weiter bis nach Mülheim. Hier fragten wir einen Polizisten nach einer Herberge. Er empfahl uns das Gasthaus "Zur Heimat". Dies war von aussen sehr nobel anzuschauen. Wir dachten, für uns Wandergesellen wäre es bestimmt viel zu nobel. Wir versuchten unser Heil dann aber doch.

Wir wurden auch sehr freundlich empfangen, aber sofort in die "Kundenabteilung" gewiesen. Es waren ca. 12 Kunden im Schlafraum. Vor dem Schlafegehen wurden wir dann noch "gefilzt", das heisst vom Herbergsvater oder dessen Angestellten nach Läusen untersucht. Diese kleinen, niedlichen Biester gab es damals noch Haufen weise. Unter Fechtbrüdern nannte man diese Läuse "Bienen". Zum Beispiel wurde man etwa gefragt: "hast auch Bienen gefüttert?" Bei meinem Kollegen und mir war es zwar nie der Fall.

Am andern Tag zogen wir weiter nach Krozingen. Auch hier blieben wir eine Nacht. Leider war hier die Schlafstatt in einem miserablen Zustand. Der Nachttopf stand noch vollgespickt unter dem Bett. Auch das Bett selber war seit der letzten Benützung nicht mehr gemacht worden. Auch sollten wir beide in einem Bett schlafen, wogegen sich mein Freund heftig wehrte. Nach langem hin und her wurde ihm dann ein Bett in einem anderen Raum zugeteilt. Dass es dort viel reinlicher gewesen wäre, könnte man nicht behaupten, sagte er mir am andern Morgen. Es hatte auch Wanzen und Flöhe im Überfluss.

Nun ging, es Freiburg (im Breisgau) zu. Auch hier verbrachten wir eine Nacht in einer Herberge. Leider mussten wir uns auch hier andern Morgen beim Herbergsvaters über die tote Wanze im Bett beklagen. Er meinte darauf, eine tote Wanze sei doch nicht so schlimm, die tue uns bestimmt nichts mehr. Das schon nicht meinten wir, die Plage für uns war eben der grosse Beileidsbesuch ihrer Angehörigen, den sie hatte.

Nun führte unser Weg über Waldkirch nach Krenzlingen. Hier wurden wir vom GeselIenverein auf ihre Kosten in den Löwen gewiesen, wo wir freundlich aufgenommen wurden. Auch war hier die Schlafstatt sehr sauber. Langsam ging nun unser Taschengeld zu Neige. Wir bekamen wohl das Essen meistens gratis, aber den Durst mussten wir natürlich mit eigenen Mittel stillen. Meistens gaben wir uns auch mit Brunnenwasser zufrieden. Aber hie und da gelüstete uns doch nach einem Glas Bier. Daher entschlossen wir uns, wieder einmal fechten zu gehen. Wir wanderten nun gegen Offenbach (Offenburg??).

An unserer Route lag ein einsames Gehöft, das von aussen einen ziemlich armseligen Eindruck machte. Eigentlich betrat ich dieses nur Gwunders halber, hatte auch kaum Hoffnung, hier etwas zu erhalten. Im Vorhof spielten sechs oder sieben Kinder, die bei meinem Anblick ihr Spiel sofort unterbrachen und mich schüchtern beaugapfelten. Ich wechselte ein paar freundlich Worte mit ihnen und gewann auch sofort ihr Zutrauen. Sie wiesen mir den Weg in die Küche, wo sich Ihre Mutter aufhielt. Diese Küche lag zu ebener Erde. Auf mein Anklopfen, eine Glocke gab es natürlich nicht, forderte mich eine freundliche Stimme zum Eintreten auf.

Es war kurz vor Mittagszeit. Am Herd stand eine saubere, ca. 40 jährige Frau. Ich brachte ihr den üblichen Spruch vor: "ein armern Handwerksbursch bittet um ein Glas Wasser." „Das ist nicht viel“, meinte sie, und reichte mir ein Glas Most. Ja, und Hunger werdet Ihr ja wohl auch haben. Sie öffnete den Backofen und reichte mir ein Stück Zwiebelkuchen. An der ganzen Kücheneinrichtung werkte ich, dass das nicht so arme Leute waren, wie das Haus nach aussen den Eindruck machte. Auch mussten es sehr nette Leute sein, denn obwohl ich nur ein Wandergeselle war begegnete mir die Frau mit  Achtung und Freundlichkeit. Nachdem ich mich am Glas Most gelabt hatte, verabschiedete ich mich mit freundlichen Dankesworten. Den Kuchen nahm ich mit, nachdem ich meiner edlen Spenderin erklärt hatte, das ich ihn mit meinem Walzkollegen der draussen warte, teilen werde. Sie wünschte mir auch noch eine gute Wanderschaft.

Hier möchte ich noch bemerken, das mein Freund und ich immer teilten was teilbar war. Indem wir unseren Kuchen miteinander vertilgten, wanderten wir Offenburg zu. Wir meldeten uns dort im Gesellenhaus als Vereinsbrüder. Hier erhielten wir Nachtessen, Schlafstätte und Morgenesssen. Das Nachtlager war sehr sauber und das Essen gut und reichlich. Wir hielten auch Umschau nach Arbeit und zwar so, dass wir zuerst bei den Drechslereien anhielten, da es für meinen Freund viel schwieriger war Arbeit zu finden als für mich. Schlosser waren überall gesucht, aber nur selten Drechsler. Da wir einander versprochen, mindestens ein Jahr beieinander zu bleiben konnte ich natürlich nur eine Stelle annehmen, wo auch er Arbeit fand. Leider war hier unser Umschauen vergebens.

Unser nächstes Ziel war Strassburg. Hier logierten wir auf eigene Kost in einer Herberge, wo es gut und billig war. Aber auch hier fanden wir keine Arbeit. So passierten wir Rastatt, Karlsruhe, und Bruchsal, ohne für beide Arbeit zu finden. Nun gelangten wir ins schöne Städtchen Heidelberg. Hier schien uns das Glück hold zu sein, denn mein Freund fand endlich Arbeit in einer Drechslerei. Neben ihm waren dort noch acht Arbeiter. Er war also der neunte.

Drehbänke mit elektrischem Antrieb befanden sich aber nur acht in der Werkstatt. Somit wurde ihm eine Bank angewiesen wo er mit dem Fuss treten musste, um sie in Schwung zu bringen. Wer kann sich heute noch so etwas vorstellen, eine Drehbank mit Pedalantrieb. Mein Kollege beklagte sich daher auch schon um ersten Abend bei mir, das sei ein höllischer Krampf und er glaube nicht, dass, er dies lange aushalte. Auch werde von ihm verlangt, dass er mit dieser primitiven Bank soviel leiste wie die andern. So eröffnete er mir nach ein paar Tagen auch wirklich: "Du i ha ufghört, das verliidä ich nüd i'so n'rä Chrauterbuudä, do goht ja einä kapput".

Also wusste auch ich, was ich zu tun hatte, denn mein Versprechen musste ich ja halten. Es ist zu sagen, dass es auch mir auf meinem Arbeitsplatz nicht besonders gefallen hat. Besonders das Schlafzimmer, das ich bei meinem Meister hatte, liess zu wünschen übrig. Wenn ich nämlich im Bett nur aufsitzen wollte, schlug ich schon den Kopf an der Decke an. Auch hatte es in der Werkstatt viel zu wenig Werkzeuge und was an solchen vorhanden war, war meistens zu schlecht um damit gute Arbeiten ausführen zu können. Es war aber auch auf der Walz nicht etwa so, dass man die Arbeit einfach niederlegen konnte, wann man wollte. Man musst immer einen Grund angeben. So mimte ich den traurigen und sagte meinen Meistersleuten, ich wolle wieder heim. Sie glaubten natürlich ich leide unter schrecklichem Heimweh und versuchten mich zu trösten. Sie meinten, nach ein paar Wochen werde es mir bei ihnen bestimmt sehr gut gefallen. Ich solle nur ein Bisschen auf die Zähne beissen und das Heimweh werde sicher schnell vergehen. Auf die Zähne gebissen hab ich dann auch, aber nicht um zu bleiben, sondern um das Lachen zu verbeissen, den Heimweh ist für einen Wandergesellen natürlich ein Fremdwort.

Ich muss noch sagen, dass es in Heidelberg sehr unterhaltsam war, denn unser Aufenthalt fiel gerade in jene Zeit, wo sich die Sache mit Hauptmann Köbenick abspielte. Die Geschichte will ich nicht wiederholen, denn ihr kennt sie bestimmt alle aus Büchern oder Filmen. Aber das möchte ich hier noch bemerken, der Hauptmann Köbenick wurde nicht etwa als Verbrecher verpöhnt, nein, im Gegenteil, er besass die Sympathie der ganzen Bevölkerung. Eine vornehme Dame, erzählte man uns, war so erfreut den gelungenen Streich, dass sie dem armen Schuster, der er ja in Wirklichkeit war, ein Legat vermachte, mit welchem er sehr gut leben konnte.

Arbeitslos, wie wir nun wieder waren, hatten wir nun Zeit uns in Heidelberg einige Sehenswürdigkeiten anzusehen. Besonders beeindruckt waren wir von dem schönen Schloss. Auch das grosse Weinfass in einem Kellerrestaurant imponiert und sehr. Auf diesem spielte hie und da eine Musikkapelle von vier bis sechs Mann, also musste es einen schönen Umfang haben, dass vier bis sechs Mann darauf Platz fanden. Es ging die Sage um, dass das Riesenfass von einem Zwerg gebaut worden sei.

Nachdem wir uns nun in Heidelberg sattgesehen hatten, beschlossen wir, weiter zu ziehen. Vorher aber machten wir noch "Kassensturz". Unsere Barschaft betrug nach ganz genauem Zählen noch genau 1 Mark und 10 Pfennig. Gerade reich konnte man uns also nicht mehr nennen. Wir werweisten nun, was wir mit dem "vielen Geld“ anfangen sollten. Da entdeckten wir einen Tabakladen in dessen Schaufenster Tabakspfeifen ausgestellt waren und zwar das Stück à 45 Pfennig. Also einigten wir uns, diese Kostbarkeiten zu erstehen. Zwei Pfeifen à 45 Pfennig, dazu zwei Päckli Tabak à 10 Pfennig macht genau 1 Mark und 10 Pfennig. Also waren wir unsere ganze Barschaft los, dafür aber glückliche Besitzer einer Tabakspfeife. Pfeife schmauchend und mit uns und der ganzen Welt zufrieden tippelten wir nun wieder weiter. Probleme, wie, was werde ich morgen essen und wo werde ich schlafen gab es für uns nicht. Wir dachten nur "der Herrgott lässt uns schon nicht verhungern".

Hessen

Wir kamen nach Worms. Und Gott meinte es gut mit uns denn hier gab es wieder ein Gesellenhaus, wo wir gratis essen und schlafen konnten. Durch das viele Laufen waren nun aber unsere Schuhe defekt geworden. Nun tauchte das Problem auf, wo wir diese mit dem wenigen gefechteten Geld reparieren könnten. Wir fragten daher ein Kind nach einem billigen Schuhmacher. Es wies uns dann in ein altes Haus, welches ganz in der Nähe lag. Eine enge Holztreppe an der äusseren Hausfront führte uns in den zweiten Stock. Auf unser Anklopfen forderte uns eine freundliche Stimme zu Eintreten auf. Ein altes Mannli blickte uns mit gütigen Augen entgegen. Wir brachten ihm unser Anliegen vor, und sagten ihm auch gleich er solle nur das nötigste mache, denn wir könnten nicht viel bezahlen. Oh, ja, meinte es, setzt Euch nur, Ihr seid sicher auf der Walz. Als wir dies bestätigten forderte der Mann uns auf unsere Erlebnisse zu erzählen, in der Zwischenzeit könne er unsere Schuhe flicken.

Mit grossem Interesse hörte er uns zu. Es dauerte auch nicht all zu lange, da konnten wir unsere Schuhe fachgemäss repariert wieder in Empfang nehmen. Nach unserer Schuldigkeit gefragt, winkte er ab und meinte: "Eure nette Unterhaltung ist mir die Arbeit schon Wert und zu dem will ich Euch verraten, dass auch ich vor vielen, vielen Jahren auf der Walz war“. Er erzählte, dass er auch lange in der Schweiz war und er dort überall gut aufgenommen wurde. Er bat uns sogar, wenn wir wieder einmal nach Worms kämen, doch bei ihm hereinzuschauen. So verabschiedeten wir uns von dem gütigen Mannli und er wünschte uns noch eine gottempfohlene Wanderschaft.

Nun Ging es weiter in Richtung Mainz. Wir hatten also eine sehr lange Strecke vor uns. Aber wieder einmal mehr war uns das Glück hold. Es kam nämlich ein Pferdefuhrwerk und der Fuhrmann lud uns zum Mitfahren ein. Hochbeglückt nahmen wir an. So konnten wir nicht nur unsere Füsse schonen, sondern auch unsere Schuhe, was ja eigentlich noch viel wichtiger war. Die Fahrt dauerte ca. fünf Stunden, natürlich mit kleinen Zwischenhalten um Ware auf oder ab zu laden, wobei wir dem Fahrer behilflich waren. Dafür spedierte er uns dann ein riesiges Butterbrot.

Nun waren wir Mainz schon ein schönes Stück näher gerückt. Die letzte Strecke legten wir nun zu Fuss zurück. Auf diesem Weg entschlossen wir, wieder einmal fechten zu gehen. Da erhielten wir manchen Fechtpfennig als Umschaugeld. Auch ein kleiner Verkaufsladen hatte es mir angetan. Hier hoffte ich bestimmt auf eine kleine Gabe. Aber "oha lätzt". Der Empfang war ganz respektabel. Im Laden drin liebäugelte ich mit all den guten Sachen die das Herz eines Wanderburschen höher schlagen lassen. Bei meinem Eintritt war der Laden leer. Es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen mir etwas auf unehrliche Weise anzueignen, obwohl ich hier lange genug Zeit gehabt hätte, denn die Ladenbesitzerin erschien erst nach etlichen Minuten. Ehrlichkeit war uns aber stets ein Gebot. Endlich erschien eine recht korpulente Frau. Sie mochte bestimmt fast zwei Zentner wiegen. Ich begann sofort mit meinem Spruch: "Ein Fremder bittet um eine kleine Unterstützung". Aber, oh weh, da kam ich an die falsche Adresse. Sie riss die Haustür auf und zeigte mit der Hand drauf indem sie mich anschrie: "Da hat der Zimmermann s'Loch g'macht". Ich wusste nun was es geschlagen hatte und wurde auch etwas frech. Ich sagte ihr: "Ihnen würde es wahrscheinlich nicht viel ausmachen einem armen Wandergesellen eine kleine Gabe zu spenden". Aber kaum hatte ich den Mund geschlossen, wurde ich von der resoluten Frau mit einem kräftigen Fusstritt ins Freie befördert. "So macht man es mit solchen Faulenzern" rief sie mir noch giftig nach. Und nun muss ich zu meinem Leidwesen gestehen, dass mich meine Ehrlichkeit doch ein bisschen reute.

Mein Kollege, der ein Stückchen vorausgegangen war, fragte mich nach meinem Erfolg. Und da muss mich der Teufel geritten haben, denn ich langte in meine Tasche und zeigte ihm ein Zehnpfennigstück indem ich sagte: "Sieh da, den Pfennig geh doch auch“. Ja, tatsächlich 10 Pfennig" meinte er, „dann geh ich auch“. Ich möchte aber betonen, dass ich ihm nicht sagte, "ich habe diese 10 Pfennig in jenem Haus erhalten" ,ich sagte ganz wörtlich: "sieh den Pfennig, geh doch auch".

Ich glaube man sagt dem Vorspiegelung falscher Tatsachen. Nun item, er ist dann eben gegangen. Aber es dauerte nicht lange" und auch er kam herausgeflogen. Es wäre wohl alles nicht so schlimm geworden, wenn ich nicht noch ein so schadenfrohes Lächeln für ihn übrig gehabt hätte. So aber war es mit unserer Freundschaft für eine gute Weile vorbei. Wir tippelten weiter, Stunde um Stunde, ohne ein Wort miteinander zu reden, immer in Richtung Mainz.

Ich überlegte mir krankhaft, wie ich meinen Freund wieder zum Sprechen bringen könnte. Da kam mir bei einre Wegkreuzung ein guter Gedanke. Während er auf dem rechten Weg weiter marschierte, wählte ich absichtlich eine faIsche Richtung. Nach etlichen Metern rief er mir plötzlich zu:"He Konrad du gosch ja die falsch Richtig". "Ich weiss scho", rief ich zurück, "ich ha ja nu wellä wüssä öb du überhaupt nu chönisch redä." Ich kehrte also zu ihm zurück und nun wanderten wir wieder munter plaudernd weiter, wie vorher. So trafen wir glücklich in Mainz ein. Wieder einmal waren wir Vater Kolping dankbar für seine gute Idee, den Gesellenverein gegründet zu haben. Wo hätten wir wohl sonst so oft gratis Unterkunft und Verpflegung gefunden. Auf jeden Fall wurden wir auch hier im Gesellenhaus freundlich aufgenommen und gut verpflegt.

Auch landschaftlich wurde uns hier ein herrlicher Anblick geboten. Das schöne Städtchen mit seinen Burgen, dem Rhein mit seinen vielen Schiffen und den sonnigen Rebbergen gefiel uns sehr gut. Wir machten einen Bummel durch die Stadt und gelangten so auch zu den Rebbergen. In grossen Trauben hingen hier die reifen Früchte an den Stauden. Wir fochten wieder einmal einen Kampf aus mit unserem Ehrgefühl, um nicht über den Hag nach einer reifen Traube zu langen. Von weitem wurden wir von einer Frau beobachtet, zwar ohne dass wir davon etwas merkten. Sie muss wohl etwas von unserem Kampf geahnt haben, denn sie rief uns in ihre Nähe. Wie freudig überrascht waren wir, als sie uns jedem eine grosse Traube reichte. Sie erklärte uns, sie habe uns beobachtet und richtig Angst ausgestanden, wir würden uns an den Trauben gütlich tun und, gerade jener Rebberg, vor dem wir standen gehöre einem sehr reichen, aber auch ebenso geizigen Bauer, und wehe, wenn der jemand beim Traubenstehlen  erwische, da wolle sie schon eher lieber etwas von ihren abgeben, ärmer werde sie dadurch bestimmt nicht. Wir dankten ihr von Herzen, wozu sie meinte, geben mache seliger als nehmen. Ihr alles Glück wünschend verabschiedeten wir uns von der gütigen Frau.

Da wir in Mainz keine Arbeit fanden, konnten wir leider nicht mehr länger bleiben. Eigentlich wollten wir von hier per "Trämmel" oder Holzfloss nach Koblenz. Man sagte uns nämlich, dass man auf so einem Floss gratis mitfahren könne, wenn man sich als "Kunde" ausweise. Leider fiel dann diese Wasserfahrt buchstäblich ins Wasser. Aus Gründen, die mir heute nicht mehr bekannt sind, wurden zu jener Zeit keine Flossfahrten durchgeführt. So begaben wir uns eben wieder einmal auf Schustersrappen auf die Weiterreise.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mittelrhein

Nun wanderten wir Popport zu. Hier wurden wir vom Gesellenverein auf ihre Kosten in eine Herberge gewiesen wo wir gratis schlafen konnten, das Essen aber selber bezahlen mussten. Nach dem wir uns satt gegessen und bezahlt hatten, bestand unsere ganze Barschaft noch aus 10 Pfennig. Nun mussten wir uns wieder aufs Fechten und Umschau halten verlassen. Auf jeden Fall bettelten und hungerten wir uns bis Koblenz durch.

Ich muss hier noch berichten dass ich meine Mutter und Schwester beständig durch Karten oder durch Email orientierte, wo wir uns aufhielten. So wussten sie also, wann ich in Koblenz eintreffen würde. So händigte man mir beim Eintreffen im Gesellenhaus in Koblenz einen Brief von meiner Mutter aus. Leider war es eine Trauerbotschaft. Sie teilte mir mit, dass mein lieber Onkel Stephan gestorben war. Von Beruf war mein Onkel Zimmermann und ist bei der Arbeit von einem Gerüst zu Tode gestürzt. Da es ein sehr lieber Onkel war, traf mich dieser Schlag ziemlich hart. Aber ich musste mich eben ins unvermeidliche fügen und konnte seiner nur noch im Gebet gedenken.

Hier in Koblenz schienen die Leute ziemlich geizig zu sein. Auch waren sie sparsam mit guten Worten uns Wandergesellen gegenüber. Wir entschlossen uns daher, weiter zu ziehen und wanderten gegen Bonn. Unterwegs nahmen wir Einsicht in verschiedenen Häusern um herauszufinden, ob die Leute hier auch so geizig waren. Es war aber nicht der Fall. Meistens wurden wir sehr freundlich empfangen. Mit ganz wenig Ausnahmen spendeten sie uns überall einen Zehnpfennig, oder wie wir es nannten, einen "Plützger". Sehr gerne unterhielten sich die Leute mit uns und fragten uns aus, über unsere Wanderschaft. Besonders interessierten sich die meisten wie es bei uns in der Schweiz zu leben sei. Nur zu gerne gaben wir Auskunft, erhielten wir doch eine kleine Gabe oder einen Teller Suppe mit Brot. Trafen wir etwa um die Z'Vierizeit in einem Bauernhof ein wurden wir auch eingeladen mitzuhalten. Wir zierten uns natürlich nicht lange und sagten freudig zu. Bereitwillig rückte dann die Familie etwas zusammen. Auf Kinder muss ich wahrscheinlich sehr anziehend gewirkt haben, denn öfters kam es vor, dass so ein kleiner Knirps unbedingt auf meinen Knien Platz nehmen wollte, natürlich, wie es ja in Deutschland üblich ist, mit dem Ausruf: "ich will zum "Onkel".

Glücklich trafen wir dann in Bonn ein. Ein ganzes Häufchen Plützge klimpperte in unserem Sack und wir fühlten uns richtig wohlhabend. Hier gingen wir nun wieder nach Arbeit aus. Da es für meinen Kollegen immer noch schwierig war in seinem Beruf Arbeit zu finden, kamen wir überein, dass er auch Arbeit annehmen sollte, die nicht in sein Metier falle. Sonst hätte ich auch wieder weiter ziehen müssen oder ihn mit meinen verdienten Batzen mitfüttern. So fragten wir in etlichen Werkstätten nach Arbeit. Ich wurde dann bald auch schon eingestellt. Weniger Glück hatte mein Freund. Einen ganzen Tag zog er von Werkstatt zu Werkstatt ohne Arbeit zu finden. So beschlossen wir wieder einmal weiter zu ziehen und in Köln unser Glück zu versuchen. Die Göttin Fortuna hatte Einsehen mit unseren müden Beinen und schickte uns einen Fuhrmann, der uns auf seinem Wagen bis nach Köln mitnahm. Zu Fuss hätten wir viele Stunden tippeln müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Köln

Wir trafen in Köln an einem Samstag Abend ein. Um Umschau zu halten war es schon zu spät. Wir suchten daher zuerst das Gesellenhaus auf. Hier wurden wir über das Wochenende gratis verpflegt. Die Zimmer aber waren alle schon belegt. Der Herbergsvater hatte aber Erbarmen mit uns und richtete uns ein Lager im Gang. Als Wanderbursche ist man ja auch nicht wählerisch und wie waren zufrieden, dass wir wenigstens unter Dach waren. Am Sonntag hatten wir nun reichlich Zeit uns Köln anzusehen. Und ich muss sagen, es hat uns hier so gut gefallen, dass wir spontan ausriefen: "Da bliibet mer, chäm was well". Wir meinten, einer von beiden werde bestimmt Arbeit finden und müsse dann eben den andern erhalten bis auch er etwas gefunden habe. Zuverichtlich und mit der Welt zufrieden kehrten wir am Abend in die Herberge zurück. Hier erlebten wir eine freudige Überraschung, denn hier fiel mir nun Arbeit in den Schoss ohne dass ich danach suchen musste.

Ein Schlossermeister war nämlich gerade im Gespräch mit dem Herbergsvater und fragte ihn nach einem Schlossergesellen. Mein Glück, dass ich gerade zu dieser Zeit zurückkehrte. So meinte der Herbergsvater zu jenem Meister: "der Schweizer da ist Schlosser, probiert es doch einmal mit ihm". Wir wurden dann auch schnell handelseinig und ich konnte schon am Montag Morgen meine Stelle antreten. In jener Werkstatt waren wir dann vier Gesellen und ein Vorarbeiter. Der Betrieb war sehr gut eingerichtet. Es waren auch genügend gute Werkzeuge und moderne Maschinen vorhaden. Heute würden man sie allerdings nicht mehr modern nennen. Ich wurde dem Vorarbeiter zugeteilt, was für mich  ein grosser Vorteil war, denn natürlich führte dieser immer die schönsten Arbeiten aus.

Nun zu meinem Freund Albert. Leider es ihm nicht gelungen Arbeit zu finden trotz intensivem Suchen, von morgens bis Abends und dies ein ganze Woche lang. Natürlich konnte man auch in den Gesellenhäusern eine ganze Woche Freilager und freie Kost erhalten. Daher musste er seinen Unterhalt selber bezahlen. So gingen dann unsere Fecht- und Umschaumünzen bald zur Neige. Entmutigt meinte er, nun er wolle allein weiterziehen. Aber davon wollte ich nun nichts wissen. Ich meinte da, zum Essen und Schlafen lange mein Verdienst gut für uns beide und mehr brauchen wir ja gar nicht. Mein Taglohn bestand damals aus vier Mark. Zwei Mark bezahlte man damals für Kost und Logis und zwar muss man, wenn man keine Arbeit hatte, immer gleich bezahlen, was eben bei meinem Freund zutraf. Anders war es bei mir. Ich konnte meine Rechnung am Wochenende bezahlen, wo ich ja auch meinen Lohn erhielt. Da unsere Barschaft aufgebraucht war und ich meinen Freund ja auch nicht verhungern lassen konnte, war ich gezwungen bei meinem Meister jeden zweiten Tag, vier Mark Vorschuss zu verIangen.

Beim dritten Mal wurde er etwas stutzig und meinte: "aber Schweizer, warum musst den Du alle zwei Tage Vorschuss haben, da doch Kost und Logis erst am Wochenende bezahlt werden muss?“ „Ja“, meinte ich, „ich habe eben noch einen Freund, dem es bis jetzt nicht gelungen ist, Arbeit zu finden. Nun muss ich ihn eben erhalten bis auch er einen Verdienst hat“. „Ach so“, meinte mein Meister, „das ist natürlich etwas anderes“, und er gab mir gleich 20 Pfennig mehr Lohn im Tag. Nach 14 Tagen hat dann mein Freund endlich auch einen Arbeitsplatz gefunden.

Nun wäre aber meine Arbeitszeit hier eigentlich abgelaufen gewesen, denn man hatte mich nur für einen Grossauftrag eingestellt, welcher nun beendet war. Normalerweise musste dann auch immer der Letzteingestellte wieder gehen. Aber mein Vorarbeiter bat den Meister, mich noch zu behalten und einen anderen fortzusschicken mit dem er weniger zufrieden den war. So hatte ich das Glück noch drei weitere Wochen bleiben zu können. Dann allerdings war es mit den Blitzaufträgen vorbei und die festangestellten Arbeiter genügten um die anlaufenden Arbeiten zu bewältigen.

So kam also mein letzter Arbeitstag in jener Werkstatt. Ich verabschiedete mich von den Arbeitskollegen. Nun war einer unter ihnen der es nicht lassen konnte mich wegen meines katholischen Glaubens zu hänseln. Er meinte: "stimmt es dass Eure Heiligen drei Beine haben?" Was er damit meinte wusste ich allerdings nicht, aber ich war um eine Antwort nicht verlegen und sagte ihm: "Natürlich haben unsre Heiligen drei Beine, aber das haben Eure ja auch." Das stimmt nicht, sagte er. Nun wenn Du es nicht glaubst, meinte ich zu ihm, so will ich es Dir gerne beweisen, worauf er promt rein fiel und mich aufforderte es zu beweisen. „Also“, sagte ich, in dem ich ihm ganz leicht an das rechte Bein tippte (mit meinem Schuh natürlich): " Dies ist das erste Bein". Das selbe machte ich am linken Bein und zwar schon etwas stärker: "Und dies ist das zweite Bein." Zum Schluss hieb ich ihm eine "Zünftige" auf das Nasenbein und erklärte: "Und das ist das dritte Bein“. „Ob wei“, sagte er nur noch und verschwand in die hinteren Räume ohne sich von mir zu verabschieden. Die Lacher hatte ich alle auf meiner Seite.

Am Abend im Gesellenhaus wo ich meinen Freunden und andere Kollegen, die ich inzwischen kennengelernt hatte traf, berichtete ich von meiner Entlassung und meinte: "Nun muss ich mich wohl wieder umschauen".  Aber es kam dann nicht so weit. Ein Kollege konnte mir eine Schlosserei angeben, bei welcher ein Geselle gesucht wurde. Also machte ich mich am Montag Morgen auf zu jenem Meister. Nach kurzem Verhandeln wurde ich darin auch eingestellt. Mein Arbeitsplatz lag jetzt etwas ausserhalb Köln. Ich benutzte daher jeden Tag das Tram um an meinen Arbeitsplatz zu erlangen. Das Abonnement war damals sehr billig. Die Werkstatt gehörte zwei Brüdern. In der Schlosserei war zwar nur einer tätig, während der andere das Restaurant führte, welches sich im gleichen Hause befand. Regieren wollten zwar immer beide. So kam es unter ihnen oft zu Meinungsverschiedenheiten. Öfters musste sogar ihre Mutter einschreiten, um die beiden Streithähne zur Vernunft zu bringen. Zu mir waren aber beide Brüder immer sehr freundlich. Man liess mich hier auch ziemlich selbstständig arbeiten. Wenn eine Arbeit in Aussicht war, konnte ich sogar nachdem mir die Einkaufspreise für das nötige Material mitgeteilt wurde, die Kostenberechnung selber aufstellen. Somit konnte ich mich auch ein bisschen kaufmännisch betätigen, was für mich eine willkommene Abwechslung war. Auch waren meine Meistersleute sehr freigebig. Jeden Tag erhielt ich ein reichliches Znüni. Das bestand aus Brot schwarzem Kaffee, Käse oder Fleischplätzli, öfters sogar auch aus Kuchen, was für einen armen Wandergesellen ein Festschmaus war. Wenn ich durstig war, konnte ich mich auch zu jeder Zeit mit Most laben.

Auf unsrer Walz hielten wir uns nirgends so lange auf wie in Köln. Mein Logis hatte ich immer im Gesellenhaus, natürlich nicht mehr im Gang wie am ersten Abend. Ich teilte mein Zimmer noch mit vier andern Wandergesellen. Zwei davon kamen aus München und die andern aus Bayern. Wir führten miteinander ein friedliches und gemütliches Leben. Einer der vier verstand sich sehr gut auf das Zitherspiel. So füllten wir unsere Abende meistens mit Gesang und Musik aus. Zweimal in der Woche besuchte ich auch einen Abendkurs. Hier konnte man sich auf jedem Beruf theoretisch weiterbilden. Natürlich gehörte ich hier auch dem Gesellenverein an. Wir waren hier so ca. 50 Mitglieder. Unser Hausvater war Herr Gulde, welcher schon unter Vater Kolping, dem Gesellenvereinsgründer, ein eifriges Mitglied war. Da wäre auch noch das Bronce-Denkmal Vater Kolpings, welches in übernatürlicher Grösse vor der Minerittenkirche steht, zu erwähnen. Mit wenig Ausnahmen besuchten alle Gesellen an den Sonntagen die heilige Messe in dieser Kirche, denn sie gehörte nämlich dem Gesellenverein. Auch wurde uns die Besichtigung des Kölner Doms sehr empfohlen. Gegen ein kleines Eintrittsgeld konnte man auch in den Glockenturm hinauf steigen. Von hier hatte man eine herrliche Aussicht über die ganze Stadt. Grosse Bewunderung zollten wir der Kaiserglocke. Diese war 4,5 m hoch, 445 Zentner schwer und hatte einen Durchmesser von 3,4 m. Der Turm selber ist 156 m hoch.

Nun möchte ich noch schnell ein paar Worte über meine Zimmerkollegen verlieren, mit welchen mich eine enge Freundschaft verband. Ihre Name waren: Fritz Herb, Benedikt Satzger, Georg Memmel und André Rohrmann. Im ersten Weltkrieg kamen dann leider zwei dieser Kameraden ums Leben. Mit den andern beiden unterhielt ich viele Jahre einen regen Briefwechsel. Mit einem dieser Freunde korrespondiere ich sogar heute in meinem hohen Alter von 85 Jahren noch. Vor drei Jahren hat mich dieser Kollege sogar noch besucht. Da ging es dann an ein Erzählen. Gar manche alte Erinnerung wurde da ausgetauscht. Da hiess es dann gar oft: "Weisst Du noch oder kannst Du dich noch erinnern"? Nicht gegen die halbe Welt hätten wir unsere Walzerlebnisse eingetauscht.

Nun zog der Frühling wieder ins Land und mit ihm erwachte in uns wieder die Wanderlust. Mein Tippelbruder Albert und ich beschlossen daher, wieder weiter zu ziehen. Wir wollten uns nun gegen Belgien und Holland wenden. Während dem langen Aufenthalt in Köln hatten wir uns ein schönes Sümmchen Geld erspart. Um uns das Wandern etwas bequemer zu gestalten, entschlossen wir uns ein Fahrrad zu kaufen. So handelte wir beide bei andern Walzkollegen die noch in Köln blieben zwei gebrauchte Fahrräder ein. Für meines bezahlte ich 20 Mark. Mein Freund musste etwas mehr bezahlen, dafür aber war sein Velo auch noch besser erhalten.

Nun wäre ich also glücklicher Besitzer eines solchen Vehikels geworden, aber der schwierige Teil folgte erst. Zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass ich gar nicht velofahren konnte. Diese Kunst kannte ich nur vom Zuschauen. Ich habe mir dann gesagt: "Du machst es einfach wie die andern, dann wird es schon gehen". Meine ersten Fahrkünste probierte ich im Hof des Gesellenhauses. Mein Freund, der schon als Bub gefahren ist, gab mir Fahrstunden. Da der Boden etwas abhäldig war, fand ich, es wäre das beste Terrain um fahren zu lernen. Mutig setzte ich mich auf das Rad, trat in die Pedale und glaubte Lenken sei ein Kinderspiel. Aber oha lätz! Schon sauste ich der Mauer zu, welche den Hof einschloss und wusste nicht, wie bremsen. An meinem Velo konnte man nämlich nur mit dem Rücktritt bremsen. Um eine unliebsame Bekanntschaft mit der Mauer zu vermeiden, wusste ich mir keinen anderen Rat, als vom Velo zu springen. Leider landete ich nicht gerade sanft auf meinem Hintern. Auch das störrische Vehikel, das gegen die Mauer prallte, bekam seinen Teil ab und ich musste es zuerst wieder reparieren.

Wir mussten unseren Auszug aus Köln um zwei Tage verschieben, denn mein Freund weigerte sich mit einem so schlechten Velofahrer durch die Welt zu radeln. Nach etlichen Versuchen gelang es mir dann aber, mein Velo in jene Nichtung zu lenken, in welche ich fahren wollte. Sogar bremsen konnte ich am Abend des ersten Tages schon, sowie kunstgerecht absteigen. Am zweiten Tag wagte ich mich dann schon in die Stadt hinein. Ich war zwar noch ziemlich unsicher, was entgegenkommende Passanten wohl auch sahen. Sicher besassen die Leute damals mehr Humor als heute, denn mit einem freundIichen Lächeln und Verständnis zeigend für meine Zickzackfahrten, wichen sie mir bereitwillig aus. Ja! das waren noch Zeiten. Man stelle sich heute einen slalomfahrenden Radler in einer Grosstadt vor. Das würde ein Gehuppe und Geschimpfe auslösen. Aber eben, ano dazumal war das halt noch etwas anderes.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ruhrgebiet

In der Frühe des dritten Morgens nach Beginn meiner Radfahrerkünste wagten wir uns dann in die Weite. Unsere nächste Station war Düsseldorf. Hier übernachteten wir wieder im Gesellenhaus. Für Nachtessen, Schlafen und Morgenessen mussten wir hier 25 Pfennig bezahlen. Das waren noch annehmbare Preise. Ich muss sagen Düsseldorf hat mir noch besser gefallen als Köln. Aber Arbeit suchen wollten wir hier trotzdem nicht, denn es zog uns weiter in die Ferne. So verbummelten wir hier nur einen Tag. Das konnten wir uns jetzt schon leisten, denn wir hatten ja noch genügend Geld in der Tasche. Nun ging es weiter nach Essen.

Hier besichtigten wir eine grosse Dampfschiedwerkstätte der Firma Krupp. Da die Besichtigung für Fremde aber nicht erlaubt war, erschlichen wir uns den Zutritt auf illegale Weise. Wir schlichen uns am Wärterhäuschen vorbei und gelangten so in das Fabrikareal. Da hier in verschiedene Schichten gearbeitet wurde, standen auch viele Arbeiter im Hof herum. Wir mischten uns unter diese und konnten so durch die Fenster in die verschiedenen Werkshallen sehen. Wir sahen gerade wie Ambose geschmiedet wurden. Ein ca. 4 - 5 Zentner schwerer Eisenklumpen wurde im Ofen weissglühend gemacht. Dann wurde er mit einer Zange die ca. 5 - 6 m lang war, aus dem Ofen genommen. Diese Zange konnte man von einer ziemlich weiten Entfernung steuern und den glühenden Klumpen so in jede beliebige Lage bringen. Ein interessantes Stahlgusstück, eine Panzerplatte die ca. 13 m lang und ebenso breit war und eine Dicke von 20 cm aufwies, konnten wir neben einer Werkshalle sehen.

Auch einer Transmissionswelle, von einer Länge von 35 Meter und einem Durchmesser von 50 cm schenkten wir unsere Beachtung. Man sagte uns, dass diese für ein Schiff angefertigt werde. Hier wurden auch Kanonen, Eisenbahräder und verschiedenes anderes angefertigt. Die kruppschen Gebäude mit ihren Angestelltenhäuschen bildeten für sich selber schon ein ziemlich grosses Dorf. Sehr interessant waren die Werksgebäude am Abend zu betrachten. Hier wurde in der Nacht immer durchgearbeitet. Die weissglühenden Eisenstücke erzeugten in den Werkshallen eine gespensterhafte Helle. Die Dächer erschienen uns wie ein einziges Flammenmeer.

Von grossem Interesse für uns waren auch die Kohlenbergwerke. Leider konnten wir sie aber nur von aussen betrachten. So sahen wir die Transporteinrichtung. Mittels einer Transportwelle von ca. 2 m Durchmesser wurden die Kohlenarbeiter in Körben ca. 700 m in die Tiefe befördert. Gar zu gerne wären wir auch hinunter gefahren, aber leider erhielten wir die Erlaubnis nicht für eine solche Höllenfahrt.

Nun radelten wir weiter über Mülheim, Duisburg, Krefeld nach Glattbach, wo wir im Gesellenhaus gratis verpflegt wurden. Auf dieser Route hatten wir sehr schönes Wetter. Wir konnten auch einige Windmühlen sehen, was für uns etwas Neues war, denn in Wirklichkeit hatten wir noch keine gesehen höchstens auf Bildern oder Ansichtskarten. Nun gelangten wir an die belgische Grenze. Hier wurden wir vom Zöllner genau untersucht. Er fand aber nichts Verzollbares bei uns. Nur für unsere Fahrräder mussten wir 4 Fr. Zoll bezahlen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Belgien

Nun ging es wieder weiter Mastrich zu. Hier hatte ich Maleur mit meinem Velo. Ich musste einen neuen Mantel kaufen. Für diesen hatte ich 12 Fr. zu bezahlen, was zu jener Zeit bestimmt zuviel gewesen ist. Aber reklamieren getraute ich mich nicht, da ich die französische Sprache nicht beherrschte. So schnitt ich dem Verkäufer nur eine freche Grimasse und radelte weiter. Wir beschlossen zu fahren bis es dunkel werde. Licht hatten wir natürlich keines am Velo, aber damals waren die Polizisten auch nicht gleich mit dem Bussenzettel zur Hand wenn man nachts ohne Licht fuhr. So radelten wir auf einer Strasse die immer geradeaus führte und in einem sehr guten Zustand war. Um uns herrschte jetzt völlige Dunkelheit.

Langsam schlich auch die Müdigkeit in unsere Glieder. Daher beratschlagten wir, ob wir weiter fahren oder biwakuieren wollen. Wir entschlossen uns für das Zweite. Nun war es damals nicht etwa so, dass man das Zelt aufstellte, mit einer Campingküche versehen war und dem üblichen Komfort, ohne den man sich heute kein Biwak mehr vorstellen kann. Nein, man legte sich einfach unter einen Baum, benützte den "Berliner" als Kopfkissen und den Kittel als Federdecke und so schlief man unter Gottes freiem Himmel. So suchten wir uns bei einer Hecke ein gefälliges Plätzchen und legten uns zur Ruhe. Aber bald merkten wir, dass wir in der Dunkelheit einen schlechten Platz ausgewählt hatten. Wir lagen nämlich an einer frisch geschittenen Dornhecke und die in reichem Masse am Boden verstreuten Dornen stachen uns in die Haut. So dislozierten wir eben und zwar in den nahe gelegenen Strassengraben. Dieser war ganz trocken und musste erst kürzlich gereinigt worden sein, denn er war ganz sauber. Ein mildes Abendlüftchen wehte über uns hinweg und fächelte uns in den Schlaf. Traumlos glücklich dösten wir hier bis in den Morgen hinein.

Morgens sechs Uhr rüsteten wir uns für die Weiterfahrt. Wir zogen unsere Kittel an, schnallten den Rucksack um, und so waren auch unsere Betten schon gemacht. Unterwegs kamen wir nun an einem Gehöft vorbei. Der Bauer begab sich eben in den Stall. Wir folgten ihm in der Hoffnung, von ihm vielleicht ein wenig Milch kaufen zu können. Mit Handzeichen machten wir ihm verständlich was wir wollten. Er verstand uns auch gleich und reichte jedem von uns genügend Milch. Mit freundlichen Gesten gab er uns zu verstehen, dass er von einer Bezahlung nichts wissen wolle. Wir radebrechten ein paar Dankesworte auf französisch und verabschiedeten uns.

Nun hofften wir Leuven (oder Löwen auf Deutsch), bald zu erreichen, aber der Weg war noch sehr weit und wir sahen uns gezwungen nochmals im Freien zu übernachten. Es war hier eine ganz verlassene Gegend. Weit und breit sah man kein Haus und kein Gehöft. Die Velos neben uns herschiebend tippelten wir noch ein Stück weiter und endeckten ein Schmalspurgeleise. Wir waren erstaunt, in dieser verlassenen Gegend eine Bahnlinie zu finden und folgten ihr ein Stück. Nun stiessen wir auf einen verlassenen Güterwagen. Etwas weiter entfernt sahen wir in der Dunkelheit kaum wahrnehmbar, die Silouetten eines Gebäudes. Mein Kollege meinte, dieser Güterwagen gebe ein schönes Schlafzimmer für uns, im Fall er nicht abgeschlossen sei. Wir hatten Glück, die Sperrstange war ohne Verschluss und liess sich mühelos entfernen. Mit Gott und der Welt zufrieden richteten wir uns hier häuslich ein. Wir schliefen seelig bis am frühen Morgen, doch dann harrte unser eine Überraschung.

Als ich nämlich meinen Freund am Morgen bei Tageslicht betrachtete, kam mich das Lachen an, und zwar lachte ich so aus vollen Halse, dass er mich erstaunt anblickte. Sein Anstarren dauerte nicht lange, denn plötzlich fing auch er an, zu lachen und zwar so laut, dass mir mein Heiterkeitsausbruch nur noch wie ein Lispeln vorkam. Nun war ich der Staunende, aber auch nicht lange, denn nun betrachtete ich mich selber, wie er das auch mit sich machte. Wir machten aber auch beide eine gar zu komische Figur. Wir sahen nämlich aus wie zwei Schneemänner, weiss von Kopf bis Fuss. Unser selbstgewähltes Schlafzimmer war nämlich ein Güterwagen in welchem Mehl für die nahe gelegene Getreidemühle transportiert, welche wir am Abend wegen der vorgeschrittenen Dunkelheit nicht erkennen konnten. Sehr vertrauenserregend sahen wir nun nicht aus. Es hiess bürsten, bürsten und nochmals bürsten. Ja, die Reinigung unserer Kleider und Glieder machte uns schon ziemlich Mühe. Doch mit Geduld und Ausdauer verwandelten wir uns dann doch wieder in normale Menschen.

Nun stiegen wir wieder auf unsere Räder und gelangten dann nach Leuven. Es war eine sehr schöne Stadt. Wir besuchten hier auch den Dom. Das war eine wunderschöne Kirche. Besonders die beiden Stiegen, welche zur Empore und zur Kanzel hinauf führten, zogen unsere Blicke an. Sie waren mit sehr reichen Schnitzereien verziert. Auch dem Justizgebäude zollten wir unsere Bewunderung. Damals galt dieser Palast als einer der schönsten von ganz Europa. Was uns fast wie ein Weltwunder vorkam, waren die kinographischen Bilder, welche damals schon an jedem Abend an einer Hotelfront gezeigt wurden. Sie dienten, wie man sie heute in jeder Grosstadt sieht, Reklamezwecken. Aber uns erschienen sie damals im Jahre 1907 als überwältigende Errungenschaft.

Nach drei Tagen Aufenthalt in Leuven fuhren wir weiter in Richtung Brüssel. Wir trafen dort an einem Nachmittag so ca. 14:00h ein. Ein Polizist zeigte uns den Weg zum Gesellenhaus. Hier erhielten wir trotzdem die Mitagsszeit vorüber war, noch eine Suppe. Da unsere Kehlen von der langen Velotour ausgetrocknet waren, bestellten wir uns auch noch eine Limonade. Das Bier in Belgien schmeckte uns gar nicht. Mit der Zeit gewöhnten wir uns dann allerdings auch an dieses.

Auf unserer Wanderung durch die Stadt sahen wir auch hier viele interressante Gebäude, so z.B. den Königspalast. Schön war auch das Börsengebäude. Ebenso imposant wirkte die Michaelskirche, welche auch mit vielen Schnitzereien verziert war. Besonders lange verharrten wir vor dem Siegestor. Das war ein grosser steinerner Bogen mit kunstvollen Steinmetzarbeiten. Grossartige Denkmäler, Springbrunnen, sehr schöne Gartenanlagen mit Wasserspielen sowie Bronce- und Steinstatuen konnte man hier sehen. Nachdem wir nun die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Brüssel kannten, entschlossen wir uns nach Holland weiterzuziehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Holland

Da unsere "Hinterteile" vom vielen Velofahren ziemlich in Mitleidenschaft gezogen waren, entschlossen wir uns, unsere Vehikel bei einem Trödler zu verkaufen. Wir lösten dann pro Fahrrad 25 Mark, also mehr als ich für meines in Köln bezahlt hatte. Da wir immer noch im Besitze eines Sümmchen Fecht- und Umschaugelds waren, besuchten wir Holland auch nur als Touristen und nicht um Arbeit zu suchen. In Brüssel lösten wir nun eine Fahrkarte und fuhren per Bahn nach Antwerpen. Beim Verlassen des Zuges fragten wir einen Dienstmann nach einer Herberge, wo die Wirtsleute auch deutsch sprächen. Er anerbot sich uns zu einer solchen zu führen. Wir hatten dann auch kaum 50 m zu gehen, langten wir schon bei dieser Herberge an. Wir dankten unserem Fremdenführer recht herzlich, aber dieser gab sich mit diesem Dank nicht zufrieden. Er forderte von uns eine Auskunftstaxe von 50 Cent, was damals ja ziemlich viel war. An unseren erstaunten Gesichtern musste er erkennen, dass wir mit dieser Zahlung nicht ganz einverstanden waren. Er sagte dann nur, das sei hier so üblich, dass man für jede Auskunft bezahle, steckte das Geld ein und trottete die paar Schritte zurück zum Bahnhof wahrscheinlich, um auf das nächste Opfer zu warten.

In der Gaststätte gefiel es uns sehr gut. Es waren sehr freundliche Wirtsleute. Auch die Preise waren bescheiden. Nachdem wir unsere Berliner im Zimmer deponiert hatten, machten wir uns auf, um die Stadt zu besuchen. Der grösste Anziehungspunkt für uns war natürlich der Schiffshafen. Da standen wir dann und staunten nur noch. Das war ein Hasten, ein Jagen und ein Treiben. Mit Kranen, die damals noch mit Dampf betrieben wurden, belud man die grossen Schiffe. Kleinere Waren wurden auch mit Rollern auf die Schiffe gebracht. Hier war eine riesige Flotte von Schiffen vorhanden. Zum Teil waren sehr grosse darunter. Aber auch die Stadt gefiel uns sehr gut. Es gab hier grossartige Kunstdenkmäler und sehr schöne Bauten. Besonders kunstvoll war hier, wie fast in allen Grosstädten, der Dom. Auch er hatte, wie der in Brüssel, reiche Schnitzereien aufzuweisen. Auch das Siegestor war bewunderungswürdig.

Von Antwerpen fuhren wir nach Rotterdam. Das Durchfragen nach dem Gesellenhaus kostete uns einige Mühe und gelang uns schliesslich auch nur mit Hilfe eines Dienstmannes. Der wies uns den richtigen Weg, der ca.80 m betrug. Natürlich war auch diese Auskunft nicht gratis, aber dieser Dienstmann war in seiner Forderung doch bescheidener als der letzte, er verlangte nämlich nur 20 Cent. Im Gesellenhaus erhielten wir eine Freikarte für ein Nachtlager. Das Essen mussten wir selber bezahlen, was uns etwas verwunderte, da, wie man uns sagte, der Mitgliedstand hier aus einigen hundert Männern bestand. Nachdem wir unsere Habe deponiert hatten, begaben wir uns in die Stadt.

Vor einem grossen Warenhaus mit herrlichen Auslagen blieben wir stehen. Hier hätte es gar manches zu kaufen gegeben was das Herz eines Junggesellen erfreut hätte. Als wir so in tiefes Betrachten versunken waren, sprach uns plötzlich ein sehr nobler Herr an: "Ah, Grüss Gott, Ihr seid Deutsche nicht war." Erstaunt Über diese freundliche Anrede erklärten wir ihm, dass wir Schweizer seien. "Das freut mich aber", meinte er, „ich bin gut bekannt in der Schweiz“. Es entstand ein freundliches Frag und Antwortspiel. Geschickt lenkte er das Gespräch dann aufs Meer. Er pries das ruhig vor uns liegende weite Wasser in allen Tönen und meinte, so ein Matrose oder Schiffskellner habe doch ein herrliches Leben. Zum Schluss meinte er dann, ob wir nicht auch Lust hätten, uns auf so einem Schiff anwerben zu lassen. Er meinte, er habe gute Beziehungen zu verschiedenen Reedern und könne uns leicht eine Stelle als Leichtmatrose oder Schiffskellner verschaffen. Wir könnten auch gewiss sein, dass die Bezahlung sehr gut sei. Er rühmte dann noch seine guten Menschenkenntnisse und meinte, er habe gleich gesehen, dass wir zwei anständige flotte Männer wären, denen er gern zu einer schönen und gut bezahlten Stelle verhelfen wolle.

Aber ein bisschen Menschenkenntnis hatte ich ja auch. Mein Freund meinte zwar gleich: "Du das wär öbbis für üüs". Darauf hin der Fremde: "In diesen Kleidern könnt Ihr natürlich nicht auf ein Schiff gehen, darum werde ich euch eine Matrosenuniform besorgen. Ich kann sie zum günstigen Preis von 24 Gulden beziehen". Er bat uns auch gleich um das Geld. Aber so viel hatten wir gar nicht bei uns und sagten ihm dies auch gleich. Darauf meinte er, das mache gar nichts, so strecke er uns die Gulden eben vor, der Reeder, welcher uns einstellen werde, würde sie ihm dann schon zurückgeben und sie uns am ersten Lohn abziehen. Da nun die Strasse nicht der ideale Ort ist um Verträge abzuschliessen, lud der Herr uns auf abends 8:00h ins Restaurant Gambrinus zu einem Glas Wein ein, um dann auch gleich die Verträge abzuschliessen. Mein Freund sagte auch sofort zu und strahlte über das ganze Gesicht ob dem Glück, das uns beschieden sein sollte. Ich sagte natürlich auch zu, dachte aber im Stillen für mich: "Du kannst ja dann lange im Gabrinus warten, denn bestimmt werde ich nicht erscheinen“. Der Abschied von diesem Herrn fiel dann auch gar zu honigsüss aus und "Auf-wieder-sehen, heute Abend" bekamen wir bestimmt ein halbes Dutzend mal zu hören.

Auf dem Heimweg musste ich dann dem Glücksgefühl meines Kollegen einen gehörigen Dämpfer geben. Vom siebenten Himmel fiel er direkt auf die Erde vor meine Füsse, als ich ihm weismachte, dass dieser noble Herr bestimmt für die Fremdenlegion anwerbe. Zuerst wolllte er es nicht glauben und meinte, aber der Herr habe doch gar nicht wie ein Gauner ausgesehen und sei doch so freundlich gewesen. Nach einigen Überlegen meinte er dann, es wäre das Beste wenn wir uns beim Gesellenvater orientieren würden.

Das taten wir dann auch. Was wir da zu hören bekamen, liess uns die Haare zu Berge stehen. Der Herbergvater meinte, bei dem abendlichen Rendez-vous wären wir so gründlich abgefüllt worden, dass unsere Unterschrift auf den Vertrag zu stehen gekommen wäre, ohne dass wir selber etwas davon gemerkt hätten. "Danket Gott", sagte er uns, dass ihr so gut davon gekommen seid, denn schon viele junge Männer seien auf diese Art in die Hölle der Fremdenlegion geraten.

Wir beschlossen, nicht länger in dieser Stadt, die uns bald zum Verhängnis geworden wäre, zu verbleiben und fuhren weiter nach Amsterdam. Die Fahrkarte Rotterdam - Amsterdam kostete damals 1,75 Gulden. Auf der Fahrt passierten wir die längste Eisenbahnbrücke der Niederlande. Ich schätzte sie über 1000 Meter. Am Bahnhof von Amsterdam wurden wir gleich von einem Rudel Burschen und Männern umringt. Der eine anerbot sich, uns durch die Stadt zu führen. Ein anderer wollte bei uns unbedingt seine Ansichtskarten an den Mann bringen. Wieder ein anderer glaubte  uns gelüste bestimmt nach einem Amüsement und wollte uns den Weg zu den betreffenden Lokalen zeigen. Sogar faule Tricks hätte man hier kaufen können. Diese Burschen beherrschten alle die deutsche Sprache, was uns sehr verwunderte. Wir sagten aber allen, dass wir schon Bescheid wüssten und dankten ihnen für ihre Zuvorkommenheit.  Wenn wir dann wirklich eine Auskunft brauchten, wandten wir uns an einen Schutzmann. So fragten wir auch einen solchen nach dem Gesellenhaus.

Hier angekommen wurden wir aber arg enttäuscht, denn hier sprach niemand deutsch. Auch unsere Gesten und Handzeichen wollte niemand verstehen. Nicht einmal um Geld hätten wir hier ein Zimmer bekommen. So machten wir uns auf, um ein Logie für die Nacht zu suchen sieben bis acht Hotels mussten wir abklopfen bis wir endlich Erfolg hatten. Wir fanden ein Hotel das ziemlich nobel aussah, in den Preisen aber sehr bescheiden war. Pro Bett zahlten wir dort 50 Cent. Amsterdam gefiel uns sehr gut.

Damals zählte die Stadt 600'000 Einwohner. Hier konnte man viele Bazars und Kaufhäuser sehen. Auch Statuen, Denkmäler und besonders schöne Kirchen sah man da. Besonders interessant erschienen uns die vielen Wasserstrassen die die Stadt durchzogen. Mit einem Passagierboot machten wir dann auch so eine Wasserstrassenfahrt. Da sahen wir sehr viele herrliche Bauten. Viele Paläste sah man da, die damals schon sehr alt waren. Ein Reiseleiter erzählte uns die Geschichte von verschiedenen dieser interessanten Häusern. Es gab da alte Patrizier-Häuser, Justizgebäude, herrliche Paläste in denen früher Herrscher mit hohem Rang und Namen wohnten. An vielen dieser Gebäude konnte man noch alte Fresken und Schnitzereien sehen.

Auf unserm Schiff passierten wir aber auch Armenviertel. Graue, hässliche Mauern starrten uns hier an. Über den Kanal, von einem Haus zum andern waren hier meistens Wäscheleinen gespannt, an denen wir nicht nur saubere Wäsche, sondern wie es uns schien, mehr Lumpen sahen. Auch die Düfte die solchen Kanälen entströmten waren alles andere als angenehm. Hier wurde eben der Kanal auch gleich als Abfalleimer benützt. Von den Haustüren führten ein paar Steinstufen ins Wasser, wo gewöhnlich ein Kahn befestigt war, da man zu den meisten Häuser nur auf dem Wasserweg gelangen konnte. Diese interessante Fahrt dauerte fast zwei Stunden. Gar gerne wären wir noch zur Insel Marken gefahren, aber aus finanziellen Gründen mussten wir darauf verzichten.

 

 

 

Bremen

Nun entschlossen wir uns, Holland den Rücken zu kehren und uns wieder nach Deutschland zu wenden. So verliessen wir Amsterdam und fuhren in Richtung Salzbergen. Wir nahmen an, Salzbergen sei eine grosse Stadt. Unsere Enttäuschung war daher gross, als es sich herausstellte, dass ausser einem kleinen Bahnhof, einer Kirche, einem Schulhaus nur noch ein paar Wohnhäuser die ganze Stadt ausmachten. Da wir seit morgens sieben Uhr (jetzt war es Mittags zwei Uhr) nichts mehr gegessen hatten knurrten unsere Mägen beträchtlich. Wir hofften nun in einer Herberge etwas Essbares kaufen zu können. Aber wir wurden zum zweiten Mal enttäuscht, denn in der einzigen Wirtschaft dieses kleinen Nestchens hatten sie kein Brot mehr. Wir versuchten dann in einem Privathaus gegen Bezahlung etwas zu essen zu bekommen. Für 20 Pfennig spendierte uns dann eine Frau eine Tasse Kaffe und zwei Stück Brot. An den Bahnhof zurückgekehrt mussten wir dann noch 2 1/2 Stunden auf die Abfahrt des nächsten Zuges warten. Wir lösten hier Fahrkarten bis Bremen. An diesem Tag fuhren wir aber nur noch bis Osnabrück, wo wir am Abend um 6:30h eintrafen. Hier erkundigten wir uns zuerst nach dem Gesellenhaus. Nach Vorweisen unserer Wanderbüchlein wurden wir hier auch freundlich aufgenommen und gut verpflegt. Wir erhielten Suppe, Wurst, Brot und Kaffee zur Genüge. Auch ein gutes Nachtlager wurde uns zugeteilt, und dies alles gratis. Das war für uns wieder einmal ein richtiges Festessen.

Am Morgen nach dem Frühstück fuhren wir weiter nach Bremen. Wir benutzten natürlich das Arbeiterabteil 4. Klasse. In diesen Wagen war längs beider Seitenwände je eine primitive Holzbank hingestellt, also nicht sehr komfortabel. Auch waren alle Wagen mit Arbeitern vollgestopft. Gerade angenehm konnte man diese Fahrt nicht nennen. Da wir keinen Sitzplatz erhaschen konnten, wurden wir gehörig hin- und hergeschaukelt und hatten alle Mühe den Stand nicht zu verlieren. Aber einmal ging auch diese Fahrt zu Ende. In Bremen fragten wir uns wieder nach dem Gesellenhaus durch. Hier wurden wir von der Hausmeisterin freundlich aufgenommen. Sie bereitete auch sofort einen Kaffee und spendierte uns auch noch Brötchen dazu und zwar auf ihre eigenen Kosten, da wir hier nur freies Nachtlager erhielten. Nach dem Morgenessen machten wirr uns auf die Arbeitssuche. Aber mein Kollege hatte halt wieder einmal mehr Pech, denn für ihn war nichts zu finden. So sah auch ich mich gezwungen, wieder weiter zu ziehen.

Da unsere Barschaft ziemlich zusammengeschmolzen war, mussten wir uns nun wieder aufs Fechten verlegen. Wir fragten also dort um Arbeit, wo wir zum Vorneherein wussten, dass wir keine bekamen. Dafür aber reichte man uns an den meisten Orten einen Fechtgroschen. So kamen wir dann auch schnell wieder zu etwas Geld. Auf diesen Touren hatten wir auch Zeit uns die Stadt etwas anzusehen. Bremen hat uns auch sehr gut gefallen. Besonders schön waren die Parkanlagen mit den prächtigen Blumen. Auch die kleinen Wäldchen mit ihren Teichen und Brunnen war sehr schön. Auf den kleinen Teichen glitten bunte, kleine Schiffchen dahin. Aber auch sehr schöne Gebäude konnte man hier sehen. Besonders interessant fanden wir den Rathauskeller, ein altes, historisches Gebäude. Er ist mit dem heutigen Kornhauskeller in Bern zu vergleichen. Ein sehr schöner Brunnen "Eichmannsbrunnen" war damals schon eine Sehenswürdigkeit.

Am Abend kehrten wir in unsere Herberge zurück. Hier erlebten wir eine Überraschung. Am frühen Morgen, so ca. 5:30h wurden wir von einem Polizisten geweckt und zwar nicht etwa sanft. Er fragte meinen Freund ob er Neff heisse, was dieser natürlich bejate. Auch fragte er ihn nach seinen letzten Arbeitsplatz und nach seinem Alter. Nach Angaben des Polizist stimmte aber ausser dem Namen nichts mit dem gebuchten Neff überein, der wahrscheinlich etwas ausgefressen hatte, und so zog der Schutzmann, etwas vor sich hinbrummend wieder ab.

Nach dem Frühstück machten wir uns auf, um nach Bremerhafen weiter zu reisen. Hier war das Gesellenhaus ein ganz moderner Neubau. Es hatte sogar elektrisches Licht in jedem Zimmer und in den Aborts sogar Spülung. Wir waren die ersten Gesellen die in diesem Neubau übernachteten. Das Logie für die Nacht kostete hier 40 Pfennig. Die Betten waren ganz neu und herrlich weich. Hier schauten wir uns nicht um Arbeit um, denn wir fanden heraus, dass man hier ganz schlecht bezahlt wurde.

Wir blieben aber trotzdem zwei Tage und schauten uns den Hafen und den grossen Verkehr auf dem Wasser an. Auch hatten wir das Glück den damals grössten Dampfer der Welt, den "Kaiser Wilhelm der II" von innen und aussen "gratis" zu betrachten, nach dem es und gelungen war, uns in das Schiff einzuschleichen. Wir sahen, dass zwei Stege zum Dampfer führten nämlich einer für die Fremden, die das Schiff besichtigen wollten und einer für die Schiffsangestellten. So beschlossen wir, uns einfach einem Trupp Arbeiter anzuschliessen, die gerade ihre Mittagspause beendet hatten. So kamen wir mühelos an Bord und mischten uns nachher einfach unter die Besucher. Eine Besichtigung hätte uns 50 Pfennig gekostet. Der "Kaiser Wilhelm" war ein Doppelschraubenschnelldampfer. Er war 216 m lang, 22 m breit und hatte einen Tiefgang von 16 m. Im Schiffsraum waren 19 Dampfkessel. Der Dampfer hatte 40'000 PS. Die zwei Stahlwellen, an denen die Schiffschrauben befestigt waren, hatten einen Durchmesser von 40 cm. Auch zählten wir 124 Feuerungen für die verschiedenen Dampfkessel. Auch bewunderten wir die vier Schornsteine mit je 5 m Durchmesser. Überhaupt war die ganz Einrichtung sehr interessant. Man sah da alles, von der einfachsten Schlafstelle bis zu den Essräumen und Theatersäälen. Auch sehr schöne Luxuskabinen konnten wir sehen. Gar zu gerne wären wir auch in einer dieser Luxuskabinen über den Ozean gefahren, aber das blieb für uns natürlich nur ein Traum.

Nach der Besichtigung begaben wir uns wieder an Land. Von hier schauten wir dann noch zu wie das Schiff beladen wurde. Auf beiden Seiten des Kaiser Wilhelm war war ein grosser Kahn, welcher von Schleppern eine riesige Menge Waren auf den Dampfer beförderte. Auch eine grosse Menge Kohlen wurde so für die nächste Fahrt geladen. Auch sahen wir wie die Schlacken der verbrauchten Kohle wegbefördert wurde. Sie wurden direkt auf einen, auf der Seite des Kaiser Wilhelm verankerten Schlepper befördert, und zwar wurde die Schlacke durch verschiedene Öffnungen auf diesen Schlepper geblasen. Es musste eine Unmenge Kohlen verbrannt worden sein, den der Schlepper, den man nicht etwa klein nennen konnte, wurde von der ausgeblasenen Schlacke bis zum Rand gefüllt.

Nun hätte uns eigentlich nur noch die Abfahrt dieses Riesendampfers interessiert. wir erkundigten uns daher nach der Abfahrtszeit. Da dies schon am andern Tag erfolgen sollte, beschlossen wir noch so lange hier zu bleiben. Andern Tags begaben wir uns schon eine Stunde vor der Zeit zum Hafen, um ja die Abfahrt nicht zu verpassen. Hier sahen wir dann auch verschiedene Szenen von Abschiednehmen. Man sah Lachende, Weinende, Fröhliche, Traurige und wie es auch damals schon Sitte war, Küssende. Nun endlich tönte die Dampfhuppe zum letzten Mal. Der Steg wurde eingezogen und bald setzte sich das Schiff in Bewegung.

Es fuhr aber nicht mit eigener Kraft aus dem Hafen, sondern wurde vor zwei Dampfern, die ungefähr so gross waren wie die grössten Dampfer der Schweiz, ins Schlepptau genommen. So gelangten die drei Schiffe ins offene Meer, wo nach ca. 700 m der "Kaiser Wilhelm“ seine eigene Kraft einsetzte. Mayestätisch glitt er dahin, eine breite Wellenstrasse nach sich ziehend. lmmer weiter entschwand er unseren Blicken bis er uns nur noch als Punkt am Horizont erschien. Für uns Landkinder war die Abfahrt dieses Luxusdampfers ein Erlebnis, das bis heute in guter Erinnerung blieb.

Unsere nächste Station war Cuxhaven. Das war damals schon ein berühmter Fremdenort. Hier verweilten wir nicht lange. Wir fuhren weiter nach Freiburg (an der Elbemündung) und zwar zu viert, denn in Bremerhafen hatten sich uns, zwei Reisekollegen zugesellt. Lachend, singend und Witze erzählend gestalteten wir diese Fahrt zu einer gemütlichen Reise. Am späten Abend trafen wir dann in Freiburg ein. Müde legten wir uns im Gesellenhaus in die uns zugewiesenen Betten. Sehr gut schlafen konnten wir zwar nicht, denn jeden Moment fragte wieder einer: "Du bisst's dich au?" (beisst es Dich auch). Na, ja, die Schlafstatt kostete ja auch nur 20 Pfennig, dafür konnte man ja schon ein bisschen Beissen in Kauf nehmen.

Am andern Morgen fuhren wir teils per Bahn und teils per Schiff nach Kiel. Auf dem Schiff wurden uns Billette mit einem Stempel "nur für Handwerksburschen" ausgehändigt. Diese kosteten nur 75 Pfennig, während die andere Fahrkarte 1,25 Mark gekostet hätte. Von Cuxhaven bis hier mussten wir nie Hunger leiden, denn vor unserer Abfahrt kauften wir uns eine Wurst die recht komisch aussah. Wir erstanden sie auch nur wegen ihrer Länge, denn sie mass ca. 70 cm und war im Preis sehr günstig. Ob sie uns auch wirklich schmeckte, kann ich heute nicht mehr sagen, aber das war uns damals auch nicht so wichtig, Hauptsache, wir mussten keinen Hunger leiden. Dazu erstanden wir uns auch noch ein grosses Vollkornbrot, das auch nur ein paar Pfennige kostete.

 

 

Kiel

Mit dem letzten Wurstzipfel und einem Stücklein Brot im Sack trafen wir in Kiel ein. Hier dauerte es etwas lange, bis wir uns zum Gesellenpräses durchgefragt hatten. Wie wir ihn dann endlich gefunden hatten, erklärte er uns, dass das Gesellenhaus nur über zwei Betten verfüge, welche aber im Moment leider schon besetzt seien. Er händigte uns aber eine Freikarte aus, mit welcher wir in einem bestimmten Hotel freie Logie und das Morgenessen beziehen konnten. Unseren zwei deutschen Freunden, die noch in unserer Begleitung waren gab er je 50 Pfennig Schlafgeld, womit sie sich selber ein Logie suchen oder auch "platt machen" was heisst "im Freien übernachten" konnten. Wenn das Wetter schön und das Klima mild war wurde sehr oft im Freien übernachtet. Andern Tags beschlossen wir wieder einmal, auf Arbeitsuche auszugehen. Wir begaben uns daher auf das Arbeitsnachweisamt. Hier wurden uns auch gleich zwei Arbeitsplätze zugewiesen. Der Arbeitsplatz, meines Freundes Neff war in Kiel selber. Um zu meinem zu gelangen, hätte ich eine Stunde mit dem Schiff fahren müssen, was mir aber nicht sehr behagte. Ich sah mich daher nach etwas anderem um und fand dann auch schnell eine Stelle, wo es mir sehr gut gefiel. Hier blieb ich drei Wochen, denn es war hier auch so, dass der Meister eine Arbeit schnell ausführen musste und für diese einen zusätzlichen Arbeiter brauchte.

Nach Beendigung dieses Auftrages musste ich dann eben wieder gehen. Nun hatte ich aber wieder Glück und fand auch gleich eine neue Beschäftigung. An meinem neuen Arbeitsplatz waren wir sechs Arbeiter und ein Vorarbeiter. Wir hatten auch sofort ein gutes Verhältnis untereinander. Auch der Meister war ein sehr angenehmer Mensch. Öfters sagte er etwa: "Na Schweizer, wie würdest Du das machen“? Ich erklärte ihm dann wie es nach meiner Meinung am ringsten ginge. Manchmal war er natürlich nicht gleicher Meinung wie ich, aber es kam auch vor, dass er etwa sagte: "Du bist gut, besser hätte ich es auch nicht machen können." Bald durfte ich immer mit ihm zusammen arbeiten, was für mich ein grosser Vorzug war.

Nun bekam er den Auftrag ein schönes Ziergeländer anzufertigen, wobei ich ihm auch helfen durfte. Da dies eine Kunstschlosserarbeit war, war ich von der Aussicht, ihm helfen zu dürfen sehr begeistert. Bei dieser Arbeit machte ich ihn darauf aufmerksam, dass man verschiedene Schmiedearbeiten viel einfacher machen könnte. Er forderte mich auf ihm dies einmal vorzumachen. Da bekam ich aber doch etwas den „Schlotteri". Zu meiner Freude ist es mir dann aber sehr gut gelungen. Von da an durfte ich das Geländer ganz selbständig zu Ende führen wo zu der Meister mir einen Handlanger zuteilte. Nach Fertigstellung dieses Auftrages durfte ich sogar ein Lob vom Meister entgegennehmen. Eine freudige Überraschung war es für mich, dass mir der Meister den Lohn auch um ein Beträchliches erhöhte. Ich war nun ausser dem Vorarbeiter der bestbezahlte Arbeiter. Mein Taglohn betrug nun 5,20 Mark, was damals sehr viel war. Ich hatte also recht viel Glück mit meiner Arbeitsstelle.

Weniger angenehm war mein Logie. Dieses war ziemlich weit vom Arbeitsplatz entfernt. Den Raum, den die Vermieterin Schlafzimmer nannte, war sehr bedürftig. Ausser einem Bett und einem wackeligen Stuhl war nichts im Zimmer. Es hatte nicht einmal eine Beleuchtung. Aber ich war am Ende doch froh, dass ich wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte. In meiner jetzigen Stellung wäre ich wahrscheinlich länger geblieben, wenn nicht eines Tages mein Freund Albert Neff zu mir gekommen wäre mit der Botschaft, man hätte ihm mangels Arbeit gekündigt. Er meinte daher, er wolle weiter ziehen und an einem andern Ort sein Heil versuchen. Er sah mir wahrscheinlich an, dass ich von dieser Botschaft nicht sehr begeistert war und meinte daher, ich könne ja weiter hier bleiben wenn es mir doch so gut gefiele. Mir aber war die Freundschaft auch etwas wert und so sagte ich ihm: "Sind wir bis hier miteinander getippelt, so ziehen wir auch miteinander weiter". Sein befreites Aufatmen zeigte mir, wie ungern er allein weiter gezogen wäre. Er meinte dann auch: " Äs goht nüd übern ä guete Fründ." So nahm ich wieder einmal Abschied von meinem Meister und meinen Arbeitskollegen und ich muss sagen, diesmal ziemlich schweren Herzens.

Auch von Kiel selber trennte ich mich nicht sehr gern. Gar manches bekamen wir während unseres Aufenthaltes zu sehen. So zum Beispiel alle möglichen Kriegsschiffe, denn Kiel war ja Deutschlands Kriegshafen. Da die sogenannte "Kieler Woche" gerade in jene Zeit fiel, wo wir dort weilten, bekamen wir auch viele fremde Kriegsschiffe zu sehen. Es hatte sogar solche von Japan darunter. Auch grosse Jachten, Torpedos, Kreuzer und Linienschiffe sah man da. Auf dem Lande bestaunten wir auch die verschiedenen Panzer. Am Hafen war eine riesig Menschenmenge versammelt, denn man erwartete den Kaiser, der in seiner prunkvollen Jacht eintreffen sollte. Da ein kalter Wund wehte, wurde uns das Warten zu dumm und Neff meinte: "Komm wir gehen lieber in ein Restaurant einen heissen Kaffee trinken, als hier auf den Kaiser zu warten." Das hörte ein junger Mann der sich in unserer Nähe befand. Mit zornigem Blick schaute er uns an und sagte: "Was habt ihr da gesagt? Wollt ihr Seine Mayestät, den Kaiser, beleidigen, dass ihr es vorzieht, in einem Restaurant zu sitzen, statt hier auf ihn zu warten“?. Wir waren aber um eine Antwort nicht verlegen und sagten ihm, er müsse uns bestimmt falsch verstanden haben, denn wir hätten gesagt, wir wollen auf das Wohl des Kaisers noch schnell einen Kaffe trinken. Mit dieser Antwort war er dann auch zufrieden und entfernte sich freundlich grüssend.

Den Kaiser bekamen wir dann aber trotzdem nicht zu sehen, denn wir fanden es gemütlicher in der warmen Wirtschaft zu sitzen, als draussen stundenlang zu frieren, nur um vielleicht vom Kaiser schnell einen kurzen Blick zu erhaschen. Hingegen liessen wir uns die Festlichkeiten am Abend nicht entgehen. Da waren alle Schiffe hell beleuchtet. Die Scheinwerfer drehten sich nach allen Seiten. Alle Masten und Segel und sogar die Kamine waren mit farbigen Glühbirnen bekränzt. Es war etwas Erhabenes, in der dunklen Nacht die hell erleuchtete See mit seiner bunt durcheinandergewürfelten Riesenflotte zu betrachten. An diesem Abend wurden sogar einige neue Schiffe mit grossem Jubel und Musik begleitet von Stappel gelassen. Den Höhepunkt aber bildete eine Seeschlacht. Es sah alles so echt aus, dass wir bald den "Grusel" bekommen hätten. Aber es war natürlich alles nur harmloses Spiel.

 

 

Hamburg

Von Kiel führte unser Weg dann weiter bis Altona, einem Vorort von Hamburg, und von hier zu Fuss nach Hamburg. Hier hielten wir uns vier Tage auf. Wir sahen hier, wie fast in jeder deutschen Stadt, kunstvolle Denkmäler. Besonderes Interesse erweckte in uns das Bismarkdenkmal. Auf einer hohen Säule, die ca. 15 m Durchmesser hatte, stand der 8 m grosse Bismark. Mit beiden Händen stützt er sich auf sein Schwert, welches 6 m lang ist. Es führten zwei breite Granittreppen zum Monument hinauf. Am Sockel sah man viele lebensgrosse Figuren in den Stein eingemeisselt. Auch dem Hafen statteten wir einen Besuch ab. Wir leisteten uns sogar eine Hafenrundfahrt, für welche wir 50 Pfennig bezahlten. Eine zweite Schiffahrt für 20 Pfennig führte uns nach Winterhude. Hier sahen wir sehr schöne Villen mit prachtvollen Gartenanlagen. Das war bestimmt nicht das "Armeleuteviertel".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Berlin

Nun fuhren wir weiter bis Berlin. Diese Fahrt dauerte sieben Stunden. Am Bahnhof erkundigten wir uns nach dem Gesellenhaus. Da es ziemlich weit entfernt, war benutzten wir das Tram. Diese Fahrt kostete damals 10 Pfennig. Schon auf dieser Fahrt konnten wir viel Interessantes sehen. Im Gesellenhaus wurden wie freundlich aufgenommen. Wir erhielten hier zwei Tage gratis Verpflegung und Nachtlager. Uns erschien Berlin damals schon grossartig. Es herrschte ein riesiger Verkehr auf den Strassen, trotzdem es noch nicht viele Autos gab. Dafür sah man umso mehr Fuhrwerke. An Kreuzungen und grossen Plätzen standen damals schon Verkehrspolizisten. Öfters musste man sogar ziemlich lange warten bis man die Strasse überqueren konnte. Die Stadt zählte damals 2,5 Millionen Einwohner. Sie hatte 16 grosse Bahnhöfe.

Die Stadt, so weit wir sie sahen war sehr regelmässig und architektonisch gebaut. Die Strassen waren gewöhnlich sehr breit und sehr lang. Die Hauptstrasse "Kaiser Wilhemstrasse" verlief in gerader Richtung ca. 5km. Beidseitig war eine Baumallee mit schön beschnittenen Bäumen. Hier konnten wir auch herrliche Paläste und Denkmäler bewundern. Besonders schön erschien uns das Siegestor mit der Siegerallee, einer langen Strasse auf beiden Seiten mit Linden gezäunt und mit lebensgrossen, in weissen Marmor gemeisselten Standbildern vom ersten deutschen Herrscher bis zum heutigen (1907). Auch viele steinerne Brücken mit Bronce-Figuren konnte man sehen. Besonders eindrucksvoll erschien uns das königliche Schloss, welches wir auch innen besichtigen durften. Da wir Wandergesellen waren, wurde uns sogar das Eintrittsgeld erlassen. Mit herrlichem Prunk und viel Gold ausgestattet war der "Rönigel" Sitzungssaal. Diesen durften wir nur mit Filzpantoffeln, welche wir über unsere Schuhe anzogen, betreten, damit wir ja keine Kritzer am Boden machten. Das ganze Schloss strahlte nur so von Gold und Silber. Ein Führer erklärte uns auch alles Sehenswürdige. Wir konnten sehen, dass Seine Mayestät, der König von Preussen immerhin noch ein wenig noblere Lokalitäten und Räume besass als unsereins zu Hause.

Wir wollten auch noch auf den höchsten Punkt, von den Berlinern "Berg" genannt, steigen, um die Aussicht über die ganze Stadt zu geniessen. Auf diesen "Berg" führten einige steinerne Treppen und schon war man oben. Aber die Aussicht war wirklich schön. Wir sahen ganz Berlin in einem Halbkreis vor uns. Da sah man Giebel, Türme und Dächer. Uns erschien die Stadt gewaltig und wir kamen uns winzig klein vor. Auch dem Zeughaus statteten wir noch einen Besuch ab. Es hat viel Ähnlichkeit mit dem historischen Museum in Zürich. Man sah da in Säälen auch alte Waffen und Militärartikel. Eine alte, verrostete Kanone erweckte unser Interesse. Sie war über 5 m lang und hatte einen Durchmesser von 25 cm. Auch Portraits von vergangenen Persönlichkeiten waren hier zu sehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rückkehr

Es hätte hier in Berlin noch manches zu sehen gegeben, aber wir mussten wieder einmal ans Verdienen denken und zwar wenn möglich ohne zu arbeiten. Darum machten wir es wie früher auch schon, wir fragten dort um Arbeit wo wir sicher waren, keine zu bekommen, uns aber meistens der Zehnpfennig gespendet wurde. Nachdem wir so wieder ein schönes Sümmchen zusammengebettelt hatten, hiess es für uns wieder das Leder klopfen. Wir zogen weiter über Dresden, Nürnberg nach München, teils zu Fuss, teils per Bahn oder wenn wir Glück hatten auch mit einem Fuhrwerk. Gross war unsere Freude, als wir hier in München unsere alten Kölner Kollegen wieder trafen. Unsere Freundschaft wurde aufs neue besiegelt, waren es doch auch Tippelbrüder wie wir. Hier fanden wir beide auch gleich Arbeit. Mein Prinzipal nannte sich "Kaiser-Königlicher-Hofschlosser". Es gefiel mir sehr gut hier. Ich wäre gerne etwas länger in München geblieben, aber leider, war es damit wieder einmal "Essig". Nach ein paar Tagen kam nämlich mein Freund Neff wieder einmal zu mir, mit dem mir nun schon bald zur Genüge bekannten Spruch: "Du, Konrad, ich ha ufghört". Sehr erbaut war ich von der Aussicht, schon wieder weiterzuziehen nicht, aber mein einmal gegebenes Wort wollte ich auf keinen Fall brechen und so schickte ich mich eben wieder in das Unvermeidliche.

Andern Tage zogen wir schon in aller Frühe weiter. Zu Fuss wanderten wir bis Lindau. Hier hielten wir uns nicht lange auf sondern begaben uns gleich zum Hafen. Jetzt wo wir unsere Heimat über dem See schon sehen konnten, packte uns plötzlich das Heimweh. Mit dem nächsten Schiff fuhren wir dann nach Rorschach. Hier waren wir ja schon gut bekannt, war doch Rorschach eine der vielen Walzstationen gewesen. Hier ging auch der Weg meines Freundes Albert Neff und mir auseinander. Jeder wollte natürlich in sein Heimatdorf zurück. Zum Abschied beschlossen wir im Gesellenhaus noch einmal Einkehr zu halten und unsere glückliche Heimkehr und vor allem die gute Freundschaft bei einem Glas Bier zu feiern.

Hier muss ich noch erwähnen, dass wir unsere, in Köln gekauften steifen Hüte "Gogs" immer noch hatten. Als wir nun so im Gesellenhaus einzogen, Neff voraus, ich hintendrein, bekam ich plötzlich einen Schlag auf den Kopf. Zwar nicht sehr stark, aber erschrocken bin ich trotzdem. Wie ich mich umdrehe um nach dem Schläger zu sehen erstaunte ich nicht schlecht, denn vor mir stand mein Freund, der die Walz mit mir angetreten hatte, dann aber in Rorschach blieb. Die Wiedersehens-Freude war auf beiden Seiten gross. Übrigens ist das "Auf-den-Kopf-schlagen", respektive auf den Gogs, ein Freundschaftsbeweis einem Heimkehrenden gegenüber. Man nannte es damals "Gogs stauchen".

Mein Wanderfreund Neff begab sich, nachdem er eine Zeit bei seinen Eltern und an verschiedenen Orten in der Schweiz weilte, nach Paris. Am Anfang schrieben wir uns noch oft, aber mit der Zeit wurde der Briefwechsel immer seltener und schlief dann schliesslich ganz ein. Da er die Stellen sehr oft wechselte und ich seine jeweiligen Anschriften nicht kannte, konnte ich mich nicht mehr mit ihm in Verbindung setzen. Ich begab mich zurück an meinen Wohnort Einsiedeln, wo ich vom Bezirk als Ortsmonteur eingestellt wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausblick

Nun waren schon ca. 25 Jahre vergangen seit meiner Walz. Da hatte ich in Einsiedeln einmal eine Wasserleitung zu flicken. Wie ich so im Graben drunten schufte und pickle, ertönt plötzlich eine Stimme: "He do unnä, numö nüd so fliissig". Ohne den Blick zu heben sagte ich: "Lueg a do dr Neff". "Jä" meinte er "kännscht du mi dänn nu, und sogar ohni mi z'gseh"? "Natürli känn ich Dich, meinsch öbbä i heig im Neff si Stimm nümmä im Gedächnis". Das war dann auch ein freudiges Wiedersehen, nachdem wir uns so lange Jahre nicht mehr gesehen hatten. Neff hatte seine Frau bei sich. Auch ich hatte mich natürlich schon längst verheiratet und besass eine grosse Kinderschar, was meinem Freund leider nicht vergönnt war. Mein Freund erzählte mir, dass er in Zürich eine gutgehende Pension führe.

Von da an besuchten wir einander wieder öfter. Leider starb nach einigen Jahren seine Frau und da er keine Kinder hatte gab er die Pension wieder auf. Nun hörte ich aber nicht mehr viel von ihm. Ich schrieb ihm zwar noch öfters, da aber nie eine Antwort kam, musste ich annehmen, dass er meine Briefe nie erhielt. Der neue Besitzer der Pension konnte mir auch nicht sagen wohin sich Neff gewendet habe. So muss ich nun annehmen, dass er gestorben ist, denn sonst hätte er bestimmt einmal etwas von sich hören lassen. Nun hoffe ich, dass ich ihn im Himmel einst wiedersehen werde

 

 

So, das wären nun meine Erlebnisse von "Anodazumal".

 

 

Konrad Studerus, im Jahre 1967 - 1970